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Serial Nation Amerikanische TV Politdram

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Academic year: 2018

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Martin Lampprecht

Université d’Aix-Marseille

Serial Nation:

Amerikanische TV-Politdramen als Visionen der Macht

Vortrag am 17.11.2015

Atlantische Akademie / Technische Universität Kaiserslautern

In den vergangenen ca. fünfzehn Jahren ist ein Boom des political drama zu verzeichnen, der speziell amerikanischen, aber erfolgreich auch in anderen Ländern adoptierten Form der „Polit-Serie“, man denke etwa auch an Borgen in Dänemark, das mit großem Erfolg in Deutschland und Frankreich vermarktet wurde.

Als weitreichendes Phänomen berührt das Politdrama auch zahlreiche Subgenres wie etwa den Polit-Thriller. Wie beliebt das Genre ist, und wie dehnbar, zeigen darüberhinaus auch überdrehte Parodien wie Scandal, Veep oder Parks and Recreation. Ich werde hier allerdings von „Political dramas“ im engeren Sinn sprechen, die Polit-Komödie, der man einen eigenen Talk widmen könnte, also einmal ausklammern.

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Wie lässt sich der erstaunliche Boom dieses Genres erklären und welche Rolle spielt das serielle Format hierbei? Wie „funktionieren“ Politdramen?

Zunächst eine definitorische Frage: Was ist eigentlich ein political drama? Offenkundig gibt es hier Abstufungen: Politische Elemente enthalten ja viele Serien.

Als political drama im engeren Sinn sollten daher Serien verstanden werden , in denen eine explizite Behandlung politischer Prozesse und Institutionen stattfindet.

Drei Typen, zwischen denen man versuchsweise unterscheiden könnte, auch wenn die Abstufungen letztlich graduell sind:

- Serien, in denen Teilhandlungen politische Prozesse, Entscheidungen und Milieus thematisieren, in denen das Politische also quasi „zu Gast“ ist (The Good Wife).

- Serien, die nicht vordergründig im politischen Milieu angesiedelt sind, die aber sehr explizit und in für ihre Dramaturgie konstitutiver Weise politische Prozesse und Probleme behandeln: Die Bildung und Perpetuierung von Gemeinschaften, Rechts- und Verfassungsfragen, Legitimität, das Spannungsfeld zwischen Politik und Ethik, Leadership (Deadwood, Battlestar Galactica).

- Serien, die sich genau solche Fragen stellen und die zudem explizit im politischen Milieu angesiedelt sind. („White House Dramas“, Serien, in denen die institutionelle Welt der Berufspolitik aufgeblättert wird).The West Wing kann für dieses Kerngenre als Urtext gelten, auf den sich auch viele neuere Serien noch beziehen. Auch eine aktuelle Serie wie House of Cards ist sich dieser Genealogie äußerst bewusst und spielt damit in vielfältiger Weise.

Das Genre der Politserie ist in sich selbst ein faszinierendes Phänomen, stellt sie doch zunächst einmal vor allem ein dramaturgisches Grundproblem dar. Es fallen dabei zwei Faktoren ins Auge: zum einen ein Problem, zum anderen ein quasi natürlicher Vorteil des Politischen als Stoff.

Das Problem, das sich jedem Drehbuchschreiber stellt, lautet: Wie kann Macht erzählt werden? Macht ist ja zunächst einmal etwas Abstraktes, zudem etwas höchst Vernetztes. Wie kann Macht sichtbar und dramaturgisch fassbar werden?

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dramaturgisch aufbereitet werden? Denn die politische Praxis zeitgenössischer Demokratien ist ja an sich kein Thema, das an sich selbst für fesselnde Dramatik oder sensationelle Schauwerte sorgen würde. Die Alltagswirklichkeit der Politik ist ja nicht von dramatischen Krisen, geschichtemachenden Entscheidungen, Heldentaten, Schurkenstreichen und dramatischen Wendungen in letzter Sekunde bestimmt, sondern von Bürokratie, langwieriger Ausschussarbeit, institutionalisierten Strukturen und der fortlaufenden Aushandlung des politischen Kleinklein. Es ist in der Realität im Laufe des 20. Jh. zumindest ist weiten Teilen der westlichen Welt zu einer Entdramatisierung der Politik gekommen, die durch zwei Faktoren bestimmt ist: das Recht und die moderne Demokratie, die beide zu einer Formalisierung, Verzögerung, Institutionalisierung, Ritualisierung und Dezentralisierung politischer Entscheidungen führen.

Hingegen hat das Politische als fiktionales Themenfeld aber auch einen Vorteil: Und dieser liegt in der Struktur der Serialität selbst. Denn das Politische ist ja selbst seriell verfasst, und dies in der modernen Welt um so expliziter: Wahlen, Legislaturperioden, Nachrichtenzyklen sind serielle Grundparameter realen politischen Gestaltens, die in die serielle Fiktion unmittelbar einfließen. Strukturalistisch gesprochen könnte man sagen: Ein politisch-institutionelles Paradigma (Verfassung, Recht, staatliche Institutionen) gibt ein bleibendes Gerüst vor, das durch wechselnde Syntagmen (Regierungen, Legislaturperioden, Debatten, Initiativen) realisiert wird. Auch hier kann The West Wing als Paradebeispiel dienen, da die Serie die reale Zyklizität des amerikanischen Regierungsprocederes zum Strukturmerkmal ihrer Staffeldramaturgie erhebt.

Auf das Grundproblem der Dramatisierung des Undramatischen hat die amerikanische Politserie unterschiedliche Lösungen gefunden. Es lassen sich aber drei dramaturgische Grundmuster finden, die sich quasi in modularer Weise in allen Politdramen wiederfinden, wobei bestimmte Serien eben auch als quasi „Idealverkörperung“ je eines dieser Grundmodelle gelten können. Ich werde im Folgenden auf diese dramaturgischen Grundformen näher eingehen und sie jeweils anhand von einer oder zwei idealtypischen Serien veranschaulichen.

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Frage nach dem Politischen – die Frage, was das Politische eigentlich ausmache.

Hier ist eine Unterscheidung zwischen Politik (policy/politics) bzw. dem Politischen (the political) gegeben. Meine These ist eben, dass political dramas auf interessante Weise nicht allein mit politics befasst sind, sondern in fiktionaler und zugleich spekulativer Form die Frage nach dem Wesen des Politischen schlechthin stellen. Serien entwerfen Visionen des Politischen (und ich spreche hier bewusst von Visionen, nicht Repräsentationen: Serien sind keine Spiegel, in denen sich die zeitgenössische Realität reflektiert wiederfindet, sondern Labore, in denen diese Realität eben auch geformt wird: durch das Durchspielen von Ideen, durch das Sichtbarmachen von Möglichkeiten, durch das Kristallisieren von kollektiven Ängsten und Hoffnungen).

Die drei aktuellen dramaturgischen Grundmodelle der Fiktionalisierung von Politik im amerikanischen Fernsehen sind:

- Die Dramaturgie des Ausnahmezustands - Die Dramaturgie der politischen Aushandlung - Die Dramaturgie des Königsdramas.

Zur Dramaturgie des Ausnahmezustands:

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24 entwickelt eine heroische Dramaturgie um einen einzelnen Helden, die institutionelle Politik ist (im Bild in Gestalt des Kapitols) stets zugleich im Hintergrund und im Zentrum.

24 ist ein Thriller: Jack Bauer, Geheimagent einer fiktiven Antiterroreinheit, hat je 24 Stunden, um einen Fall zu lösen und eine nationale Katastrophe zu verhindern, häufig in Form eines nuklearen Anschlags (der dann in einer späteren Staffel auch mal passieren darf). Es wird in Echtzeit erzählt (oder zumindest in Form einer ästhetisch aufbereiteten Echtzeitfiktion). Entscheidungen werden unter höchstem Druck getroffen. Folter, Gewalt und die Opferung Unschuldiger sind permanent wiederkehrende Handlungselemente. Die ständige Koordination Bauers mit dem Präsidenten der USA bringt das Politische der ethischen Grauzonen stets explizit in die Serie zurück.

Videoclip.

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Battlestar Galactica (Sci-Fi Channel, 2003-2009)

Battlestar Galactica bedient sich einer choralen Dramaturgie : eine Gruppe mit inneren Spaltungen und Spannungen, ja selbst Feindschaften, die die Handlungsentwicklung bestimmen. Ein mythologischer Überbau mit religiösen Aspekten ergänzt die traditionellen Konfliktelemente des Genres der „Military Science Fiction“. Prämisse der Handlung ist die Auslöschung der Menschheit durch eine durch die Menschen selbst konstruierte Androidenspezies. Die Serie erzählt die Weltraumodyssee von 50.000 Überlebenden auf der Suche nach einem neuen Lebensraum. Die Menschheit erscheint hier allerdings als ein Klon der zeitgenössischen USA. Überhaupt könnte man Battlestar Galactica als die ultimative Post-9/11-Serie bezeichnen. Trotz des vordergründigen Science-Fiction-Themas handelt es sich bei Battlestar Galactica doch um ein häufig sehr explizites Politdrama : Fragen nach Verfassung, demokratischem Prozedere, Menschenrechten, Kriegsrecht und dem Clash zwischen militärischer und politischer Logik bestimmen die Serie.

Videoclip.

Wie funktioniert aber diese Dramaturgie des Ausnahmezustandes im einzelnen?

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Agamben gründet seine Überlegungen zum Ausnahmezustand auf den römischen Rechtsgedanken des „iustitium“. Ein Innehalten, ein Aussetzen des Rechts, das sich aber von der Diktatur, von der Anarchie oder auch vom Naturzustand unterscheidet.

Das Recht ist im Ausnahmezustand in der Schwebe, was zugleich auf dramaturgischer Ebene ein Element des Suspense mit sich bringt. Das Recht hat keine Geltung mehr, es ist aber auch nicht aufgehoben, nicht abgeschafft. Agamben unterscheidet zwei Grundformen des Ausnahmezustandes :

- Verfassungsmäßig : Der sogenannte Notstand. Sicherheitsvorkehrung für eine Katastrophensituation oder den Kriegsfall. Wir erleben das gerade in Frankreich. Eine Art „Zweites Recht“ setzt sich an die Stelle des „ersten“. Dieses zweite ist aber im ersten durchaus vorgesehen.

- Nicht verfassungsmäßig : Der eigentliche Ausnahmezustand : eine spontane Aufhebung der verfassungsmäßigen Ordnung, die durch diese selbst nicht gedeckt ist.

Der Ausnahmezustand wird in 24 wie auch in Battlestar Galactica auf sehr ähnliche Weise narrativ eingeführt.

24 hat – obgleich es sich bei der Serie sowohl ästhetisch als auch narrativ um eines der innovativsten TV-Experimente der letzten zwanzig Jahre handelt – im Grunde eine äußerst strenge und repetitive Form. Als « Serial drama » im engen und amerikanischen Wortsinn erstreckt sich ein narrativer Bogen über eine gesamte Staffel von 24 Episoden, von denen jede eine Stunde eines Tages repräsentiert.

In dieses rigide narrative Paradigma fügt sich der jeweilige Handlungsgehalt der acht Staffeln ein.

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In jedem Fall wird der Ausnahmezustand durch die absolute und nicht anzuzweifelnde Notwendigkeit, also durch Sachzwänge, begründet. (Wäre dem nicht so, würde es sich beim Ausnahmezustand um eine simple Verfassungsverletzung, mithin um ein Verbrechen handeln.) Dies ist von äußerster Wichtigkeit für die serielle Dramaturgie des Ausnahmezustandes: In dem Augenblick, wo der Zuschauer daran zweifeln kann, dass tatsächlich ein Fall von ultima ratio vorliegt, löst sich die moralische Ambiguität des Ausnahmezustandes in Luft auf, und sein auf moralische Unschlüssigkeit gegründetes spannungserzeugendes Moment bräche zusammen. „Absolute Notwendigkeit“ ist übrigens ein beliebtes Element der Rhetorik moderner TV-Dramen, nicht nur in der Polit-Serie. Man denke an all die stoisch leidenden Familienväter in der Nachfolge Tony Sopranos, die all das moralisch und existenziell Unerfreuliche, das im Zentrum der Serien steht, „tun müssen“, auch wenn die Lust und die moralische Überzeugung längst fehlen. Notwendigkeit und Pflichterfüllung auch jenseits allgemein akzeptabler moralischer Normen sind somit Teil jener stoischen und coolen Männerfiguren, die seit nun mehr als fünfzehn Jahren fest zum Figurenarsenal des „Quality TV“ gehören.

Dramaturgisch öffnet der Ausnahmezustand gewissermaßen eine Parenthese in der Handlung: Als „Ausnahme“ muss er irgendwann sein Ende finden, muss die rechtliche Abzweigung wieder in den rechtlichen Normalzustand

zurückgebogen werden und dieses abzusehende Ende des

Ausnahmezustandes wird zum narrativen Motor, der den Zuschauer zum Weiterschauen motiviert: Wann und wie wird der Ausnahmezustand sein Ende finden? Und zweitens: Wie wird er letztendlich und unabweisbar moralisch gerechtfertigt werden? Die erste Frage wird am Ende der Serie beantwortet. Dass die zweite keine verbindliche Antwort findet, macht einen Großteil am Reiz der Serie aus und erklärt, warum 24 von Anfang an so aufgeheizte politische Debatten unter Fans, unter Intellektuellen, unter Gegnern und Verteidigern entzündet hat. Die Logik des Ausnahmezustandes öffnet also eine Klammer, die nie wirklich vollständig geschlossen wird, sie bringt die Verheißung eines in jeder Hinsicht befriedigenden Endes, die aber immer zumindest teilweise auch enttäuscht wird.

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jederzeit eintreten, sie könnte vielleicht noch aufgehalten werden. Und im selben Zuge steht auch das moralische Urteil über die Handlungen der Helden noch aus. Andererseits stellt der Ausnahmezustand aber auch eine Explosion des Erzählens dar: Die etablierten Regeln gelten nicht mehr, die Berechenbarkeit der Handlung minimiert sich zumindest augenblicksweise. Der Ausnahmezustand bildet gewissermaßen eine Form von Ekstase: Der Staat selbst ist außer sich, denn er steht außerhalb des Gesetzes.

Dieses ekstatische (und damit erschöpfende) Außer-sich-Sein erfasst die Schlusssequenz der Szene aus Battlestar Galactica (S01E01 „33“, Schluss), die wir eben gesehen haben: War die Entscheidung richtig? Hat sich die verstörende Aufopferung von Gesetz und Ordnung wenigstens gelohnt? Wir werden es nie wissen.

Zur Dramaturgie der politischen Aushandlung:

Eine andere Möglichkeit als die Dramatisierung des Ausnahmezustandes bietet der Weg, den The West Wing, das „Mutterschiff“ aller modernen Politserien geht.

The West Wing (NBC, 1999-2006)

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Modus“, den Michel Chion als ein Hauptcharakteristikum des amerikanischen Kinos ausmacht.

The West Wing erzählt die Abenteuer eines fiktiven amerikanischen Präsidenten und seiner Berater quer durch zwei Amtszeiten. (Wohlgemerkt: Seiner Berater, nicht seines Kabinetts, und auch das Parlament hat eine sehr untergeordnete Rolle. Politik wird in The West Wing im Weißen Haus gemacht, alle anderen verfassungsmäßigen Instanzen politischen Entscheidens sind hier lediglich Fußnoten der Präsidialdemokratie). The West Wing ist eine liberale Fantasie mit Volksbildungsauftrag, die den Zuschauer spielerisch mit den institutionellen Funktionsweisen der amerikanischen Demokratie vertraut macht und zugleich Fragen politischer Ethik verhandelt.

The West Wing geht über weite Strecken deutlich anders vor als 24 oder Battlestar Galactica: Hier wird das politische Alltagsprocedere selbst zum dramaturgischen Treibstoff. Und da das an sich zu langweilig wäre, muss es formal aufbereitet werden als die Abenteuer einer wild zusammengewürfelten Schar von smartest guys in the room. Politisches Alltagsgeschäft wird so verdaulich gemacht, als ein nicht enden wollendes Feuerwerk von Pointen und Wisecracks, Rivalitäten und Reibereien, Phrasendreschereien und Prinzipienreiterei, Kompromissen und ideologischem Sendungsbewusstsein. Die filmästhetische Form des walk and talk wird zum dramaturgischen Rückgrat der Serie selbst: Der Rhythmus hektischer Schritte in den Gängen des Weißen Hauses findet sein Pendant in den ebenso hektisch erhitzten Schlagabtauschen des so gewitzten wie witzigen Personals. Der rhetorische Grundcharakter der Politik wird hier zum Generator des dramatischen Potentials: Politik präsentiert sich als der immerwährende freundschaftliche Wettstreit einer Horde großer Jungs, die in ihrer inneren Entwicklung den Debattierclub der Harvard Law School nie verlassen haben.

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zugleich eine entspannte Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen demokratischen Handelns.

Videoclip.

Hier wird deutlich, welche politische Botschaft sich mit der narrativen Form von The West Wing verbindet: Die Serie inszeniert auf anschauliche Weise das amerikanische Grundprinzip der „checks and balances“, wobei man hier den Vorteil hat, immerwährend unter guten Freunden zu sein.

Der Präsident gerät in dieser Szene in die Versuchung, jene geballte Macht, die ihm demokratisch anvertraut wurde, militärisch auszuspielen. Er könnte, und er dürfte dies. Wäre es aber auch politisch geboten? Und moralisch gerechtfertigt? In diesen Leerstellen, die das Recht nicht mit Antworten gefüllt hat, operiert die Politik, wie sie The West Wing in Szene setzt: Leo McGarey, der alte Freund, enge Berater und Stabschef des Präsidenten, springt ihm zur Seite bzw. in den Weg. Richtige, also nachhaltige Politik wird im freien Meinungsaustausch unter aufgeklärten Individuen entwickelt. An die Stelle der dezisionistischen, immer an den Grenzen des Rechts operierenden Logik von 24 oder Battlestar Galactica tritt hier eine prozessuale Ordnung: Auch in The West Wing tastet man sich vor in ungewisse Bereiche. Anders als in 24 geht es aber nicht um Entscheidungen, die getroffen werden müssen, weil überwältigende Sachzwänge sie einem diktieren: Vielmehr geht es gerade darum, den Freiraum auszuloten, den die Sachzwänge lassen, und diesen als demokratischen Freiraum im fortwährenden Gespräch politisch zu besetzen. Das Recht, dies aktiv zu tun, Politik also zu gestalten und auch durchzusetzen, steht denjenigen zu, die es sich durch Talent, Arbeit und ethische Haltung, also meritokratisch, selbst erworben haben und denjenigen, denen es – im Idealfall aufgrund eben dieser Tugenden – durch freie Wahl, also demokratisch, zugesprochen worden ist.

Was 24, Battlestar Galactica und andere auf dem katastrophischen Szenario des Ausnahmezustandes basierende Dramen von The West Wing unterscheidet, ist die grundsätzlich unterschiedliche Vision von politischer Macht, die die jeweiligen Serien entwerfen:

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West Wing hingegen gründet sich Macht auf Autorität, im Sinne Hannah Arendts: also auf ein Wort, das mehr Bindungskraft besitzt als der freie Austausch von Argumenten unter Gleichen; zugleich aber weniger rigide und zwangsgeladen ist als ein Befehl. Das prozessuale Politdrama kommt also, näher besehen, ganz protestantisch und theologisch daher: Als die Inszenierung eines Fleisch (bzw. hier: Staat) gewordenen Wortes, das mit höchster Wirkungsmacht aufgeladen ist.

Zur Dramaturgie des Königsdramas:

Es bleibt für die Dramatisierung des Politischen im Wesentlichen eine dritte Möglichkeit, und eben diesen Weg geht beispielsweise die aktuelle Erfolgsserie House of Cards:

Das Politische kann gewissermaßen entkernt, auf das bloße Funktionsgerüst individueller Aktionen und Motivationen reduziert werden. Politik erscheint in dieser Perspektive nicht länger als Aushandlung von Inhalten, Entscheidungen oder Ideologien: All dies ist nichts weiter als das flüchtige, historisch wechselnde Material eines tiefergehenden und letztlich anthropologischen Dramas: der Machtkampf herausragender Individuen, das Spiel übermächtiger Ambitionen, die Selbstbehauptung überlebensgroßer Männer und die damit einhergehende Vernichtung minderwertiger Individuen, die ihnen im Weg stehen – Politik als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

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House of Cards (Netflix, 2013- )

Ein Duo im Dunkeln, ein fatales Paar, zwei intim verbundene und einander ergänzende Protagonisten. Zwei Verschwörer.

Wie auch The West Wing ist House of Cards ein „White House drama“: Die erfolgreich Politserie erzählt die Karriere des Machtmenschen Frank Underwood, eines vollkommen skrupellosen Südstaaten-Abgeordneten, der sich über ein Reihe vertrackter Intrigen zum US-Präsidenten aufschwingt. Ein eiskalter Taktiker der Macht. Ein Mörder. Schlimmer noch: Ein Agnostiker, vielleicht gar Atheist. House of Cards ist das faszinierende und faszinierte Porträt eines brutalen und auch kriminellen Self-made man, der, assistiert von seiner Frau, alle Widerstände überwindet.

Eine Serie, die noch vor ihrer Erstveröffentlichung (von „Ausstrahlung“ kann man hier wohl nicht mehr sprechen) am 1. Februar 2013, und unabhängig von Fragen der Originalität und Qualität, Mediengeschichte geschrieben hat: Es handelt sich bei ihr um die erste von vornherein fürs Internet produzierte und en bloc veröffentlichte „TV-Serie“, was die medienökologisch interessante Frage aufwirft, ob Streamingdienste wie Netflix, Amazon etc. die Avantgarde des TV im 21. Jh. bilden.

House of Cards ist zunächst einmal die Adaption einer Adaption:

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einen satirischen Politroman um einen machtgierigen, konservativen Abgeordneten des britischen House of Commons, dessen (konservativ-neoliberale) sozialrevolutionäre Radikalität weit über die der Iron Lady hinausgeht und der am Ende der ersten Buchs Prime Minister sein wird. Auf den Erfolg des ersten Bandes House of Cards (1989) folgen zwei weitere, To Play the King und The Final Cut.

Anfang der 90er Jahre wird die Trilogie in Form von drei je vierteiligen Miniserien durch die BBC fürs Fernsehen adaptiert. Die erste Staffel von House of Cards USA hält sich noch relativ eng an die Vorlage, ab der zweiten entfernt sie sich zwangsläufig immer weiter.

Videoclip.

Erneut begegnet uns ganz zu Beginn der ersten Episode von House of Cards das Thema der Notwendigkeit. Die Kälte, die sich hinter diesem Motiv verbirgt, wird bei House of Cards unmittelbar ausgespielt. Der Reiz der Serie ist gerade, dass sie uns in intime, also identifikatorisch warme Nähe zu einer durch ihren Kontakt mit der Macht vollkommen kalten Figur bringt.

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Genau wie Richard nutzt Frank Underwood alle Tricks aus dem Handbuch der Intrige. Er täuscht seine Gegner und zwar durch verschiedene Strategien: - Er lügt unverhohlen.

- Wenn er nicht gerade lügt, so verschweigt oder verschleiert er zumindest die Wahrheit.

- Und eine dritte, besonders raffinierte Taktik, auf deren Beherrschung Frank besonders stolz ist: Er manipuliert den Gegner dahin, genau das Gegenteil von dem zu tun, was Frank ihm in scheinbar bester Absicht vorschlägt, und lässt den Gegner damit selbst die Waffe schmieden, mit der er schließlich zu Fall gebracht werden wird.

- Wenn Frank tatsächlich mit offenem Visier kämpft, so zumeist, um den Gegner zu bedrohen: Er schüchtert ein, macht unschädlich, erzwingt Loyalität, wenn nötig auch durch das Mittel der Erpressung.

- Genau wir Richard nutzt Frank stets gern das Gesetz, solange es auf seiner Seite steht, und seine perfidesten Schachzüge sind oft gerade deswegen so skandalös, weil sie im hellen Licht der Legalität stattfinden.

- Und genaue wie Richard ist Franks Spiel ein long con, eine mit langem Atem und stets auf das große Ganze abzielende Verschwörung, die immer auch einmal Rückschläge hinnehmen oder sogar einkalkulieren kann, und gegen die sich die kurzsichtigen, auf Augenblickserfolge zielenden Kabalen seiner Gegner wie politische Sandkastenspiele ausnehmen.

Eine weiteres Shakespeare-Motiv ist augenfällig: Das fatale Paar im Zentrum der Verschwörung. Claire Underwood agiert als eine Lady Macbeth von Washington, die kalte Mitverschwörerin, die ihre eigenen Ziele zurückstellt, um den übergeordneten gemeinsamen Machtambitionen zum Erfolg zu verhelfen.

Überhaupt ist die Paarkonstellation im Zentrum der Serie eine ihrer bemerkenswertesten Attraktionen.

Das mag damit zu tun haben, dass ein Geheimnis, das nicht zumindest mit einer Person geteilt wird, letztlich dramaturgisch uninteressant bleibt: zu einer Verschwörung braucht es mindestens zwei. Die Intimität der Verschwörer Frank und Claire bildet einen elitären und insularen Bereich in der Serie, zu dem der Zuschauer exklusiven Zugang hat: dies trägt zur affektiven Bindung an die Figuren bei.

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Gegenpol zu der ansonsten so faszinierend perfekt aufrechterhaltenen Fassade der kalten Persona, die beide kultivieren.

Es ist eine der Ironien von House of Cards, dass diese ansonsten so zynische Serie zugleich eine im Fernsehen äußerst rare Modellstudie einer funktionierenden modernen Paarbeziehung ist. Während zeitgenössische TV-Dramen quasi standardmäßig das Brüchigwerden und Scheitern von Ehen zelebrieren (Don Draper in Mad Men, Tony Soprano, The Good Wife etc.), demonstrieren Claire und Frank eine auf absolutes Vertrauen gebaute und durch stetige bewusste Beziehungsarbeit am Leben gehaltene Erfolgsehe – eine durch alle Krisen hindurch stabile Harmonie zweier intellektuell gleichwertiger Partner, die durch Ehrgeiz, Verschwörung und Mord aneinander gebunden sind.

Dass die beiden Protagonisten dabei über weite Strecken undurchschaubar bleiben, ist Teil des Erfolgs von House of Cards.

Es gehört ja zu Dynamik des Seriellen schlechthin, dass wir immer noch mehr wissen wollen, immer näher an die Figuren herankommen, ihnen in die Privatsphäre ihres fiktionalen Universums folgen wollen. Eine Serie ist gut beraten, diesem Wunsch immer nur schrittweise und nie zur Gänze nachzugeben: Die Frustration von Zuschauerwünschen ist eine der machtvollsten Strategien der Zuschauerbindung.

Es gibt aber nur wenige Serien, deren Hauptfiguren es so nachhaltig verweigern, sich von uns in die Karten schauen zu lassen. Dies ist um so ironischer, als ja House of Cards mit der, ebenfalls schon durch die originale BBC-Serie bei Shakespeare entlehnten, theatralen Technik des aside, also des beiseite oder direkt zum Publikum Gesprochenen, immer wieder die vierte Wand durchbricht und uns suggeriert, wir hätten einen privilegierten Zugang zur inneren Welt des Protagonisten.

Der dann aber nichts als politische Aphorismen zum Besten gibt bzw. sich ein Vergnügen daraus macht, mit unserer indiskreten Neugier Katz und Maus zu spielen.

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weit, dass jedem Zweifel der Boden entzogen wird – um dann wieder diskret beiseite gelegt zu werden.

House of Cards funktioniert in seiner Affektdramaturgie daher auch über weite Strecken als ein Anti-Melodrama: Wir wollen die Figuren Emotionen leben sehen, werden aber in diesem Bedürfnis stets enttäuscht und damit vertröstet.

Eine Frage drängt sich auf: Wenn House of Cards in Wahrheit ein Königsdrama ist, haben wir es dann mit dem Paradoxon einer unpolitischen Politikserie zu tun?

Denn wie wir gesehen haben, führt die Abstrahierung des Politischen auf ein reines Affekt-, Beziehungs- und Ambitionsgeflecht zu einer Abwertung politischer Inhalte zugunsten des reinen Personendramas.

Tatsächlich kann man sich House of Cards auch ohne weiteres in einem anderen Handlungsökosystem als dem des Weißen Hauses vorstellen: Spielten Shakespeares Königsdramen noch an antiken und mittelalterlichen Fürstenhöfen, so sind sie heute ebenso gut in der Welt der Justiz (man denke an Damages), der Werbung (Mad Men), der Mafia oder der Hochfinanz vorstellbar.

Spielt die Welt der amerikanischen Spitzenpolitik, in der House of Cards angesiedelt ist, also nichts weiter als die Rolle eines besonders wirkungsvollen und interesseheischenden backdrops?

Ich denke, man wird diese Frage weitgehend bejahen müssen.

Politische Themen und Positionen, die in House of Cards verhandelt werden, sind im Allgemeinen in der Tat austauschbar, auch wenn sie stets einen Bezug zur politischen Aktualität erkennen lassen: Letztlich stellen sie nicht, wie im Fall von The West Wing, zentrale Interessen der Serie selbst dar, sondern sind lediglich Vorwände und Anlässe für die Entfaltung von Franks manipulativem Geschick.

Und generell gilt ohnehin: TV-Politdramen beziehen nicht klar Stellung. Eine TV-Serie muss unterschiedliche Publikumsgruppen und damit auch politische Überzeugungen ansprechen (bzw. provozieren) können. Auch The West Wing, von etlichen Kommentatoren als The Left Wing gebrandmarkt, hat seine liberale Agenda stets sorgsam ausbalanciert und war nie wirklich als liberale Utopie konzipiert. Auch House of Cards folgt diesem generellen Zwang zur politischen Unbestimmtheit, Ausgewogenheit, inneren Widersprüchlich-keit und Ambiguität.

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Strecken der Serie einer durchweg neoliberalen Agenda zugetan, die eines Tea-Party-Republikaners würdig wäre, und drischt in der zweiten Staffel rücksichtslos eine Erhöhung des Rentenalters durch den Kongress.

Doch in der dritten Staffel verordnet er der Hauptstadt Washington plötzlich unter dem Vorwand, den libertären Sinn für wirtschaftliche Eigeninitiative fördern zu wollen, ein hochkontroverses experimentelles Jobbeschaffungsprogramm, dass so keynesianisch ist, wie es sich seit 1945 kein Präsident der USA mehr getraut hätte: eine zwar nie klar als solche benannte, aber doch deutlich erkennbare staatskapitalistische Utopie. Tatsächlich gibt es nur einen historischen Präsidenten, der in House of Cards mehrfach genannt und von Frank bereits in der zweiten Staffel bewundernd zitiert wird, und vor dessen Denkmal er schließlich in der dritten Staffel einen seltenen Moment des politischen Bekenntnisses zelebrieren wird: ausgerechnet - und dann wieder, wenn man näher darüber nachdenkt, gar nicht so überraschend - Franklin D. Roosevelt.

Man kann House of Cards’ New-Deal-Phantasie als naiven Drehbucheinfall abtun, aber sie zeigt, dass ein generelles Urteil über den vordergründig unpolitischen Charakter der Serie vorschnell ist. House of Cards mag sich nicht zentral für Politik interessieren, aber das hindert die Serie nicht daran, sporadisch und überraschend reale Debatten aufzugreifen und mit kontroversen politischen Visionen zu spielen.

Tatsächlich sind bei der Frage nach dem politischen Element der Politserie House of Cards weniger Franks konkrete Positionierungen von Bedeutung als die generelle Vision des Politischen, die die Serie erkennen lässt, und die man als ironische Skepsis gegenüber den Möglichkeiten der Politik als solcher beschreiben könnte.

The West Wing funktionierte gewissermaßen als „Begleitserie“ zur Clinton-Administration. Ihre optimistische Vision präsentierte Politik als machtvolles Feld der legitimen Gestaltung von Lebenswirklichkeiten. In House of Cards ist von diesem hochgestimmten Bekenntnis zur Wirkmächtigkeit der politischen Sphäre kaum noch etwas zu spüren.

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aller gegen alle in einem erbarmungslosen Paralleluniversum namens „politische Klasse“.

Die Politikskepsis von House of Cards hat schließlich auch eine ironische Seite: Denn obwohl Frank letztlich stets seinem Eigennutz folgt und keinerlei ethische oder politische Skrupel kennt, ist sein politisches Wirken zumeist unbestreitbar effizient und oft sogar von Nutzen für das öffentliche Wohl. Das politisch Richtige ergibt sich oft quasi als Nebenprodukt von Franks perfidem Intrigenspiel: Der dämonische Machtpolitiker Underwood erweist sich nicht selten als Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Es wäre aus diesem Grund falsch, das politische Ethos der Serie als machiavellistisch zu bezeichnen, auch wenn viele der Täuschungsmanöver Franks direkt aus Il Principe entlehnt sein könnten.

Wie der amerikanische Politikphilosoph Michael Walzer feststellt, geht es Machiavelli gerade nicht darum aufzuzeigen, wie ein moralisch schlechtes Individuum zu politischer Macht gelangen kann, sondern im Gegenteil, welche amoralischen Tricks die politische Notwendigkeit dem guten Führer aufzwingt, der sich effizient für das Gemeinwohl einsetzen will.

Wenn es einen politischen Denker gibt, in dessen Nähe man House of Cards rücken könnte, so wäre er vielleicht am Anfang des aufklärerischen 18. Jh. zu finden, in dem englischen Satiriker und Sozialphilosophen Bernard de Mandeville, der die Hypothese durchspielt, dass das eigennützige und letztendlich asoziale Verhalten jedes einzelnen am Ende zum gemeinsamen Wohlergehen aller in der Gemeinschaft führt – eine Hypothese, die zwar als Satire formuliert wurde, die aber, wie man nicht vergessen sollte, in mehr oder minder offener Form jeder neoliberalen Agenda zugrunde liegt.

House of Cards bedient, und auch darin liegt ein Teil des Erfolgs, eine populäre Politikauffassung, eine Politikvision, die Teil des großen popkulturellen Narrativs „Das Volk gegen das System“ ist. Diese Vision lautet, verkürzt gesagt: Die Politik ist schlecht, Politiker sind verdorben, der einfache Bürger ist entweder ein passiver Nutznießer, ein unbeteiligter Bystander, ein nichtsahnendes Opfer oder ein zum Scheitern verurteilter moralisch empörter Résistant.

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wortreich zu beklagen und sich und uns damit auf die Seite der Rechtgläubigen im Kampf gegen das System zu stellen, wehrt House of Cards jede moralische Reaktion von vornherein ab und transformiert sie in reines ästhetisches Wohlgefallen: Als Sophistiqués, die wir nun einmal sind, verurteilen wir Frank nicht, wir identifizieren uns aber auch nicht moralisch mit ihm. Wir möchten lediglich mit morbider Neugier und einer gewissen Bewunderung zusehen, mit welchen Mitteln er sein Intrigenspiel am Laufen halten wird. Und in dieser Fähigkeit zur moralischen Indifferenz zugunsten eines rein ästhetisch goutierenden Beobachterhaltung liegt ein Distinktionsgewinn: Wenn die Politik in der Tat, wie wir anzunehmen geneigt sind, von Grund auf verdorben ist, dann muss moralische Empörung als antiquierter Aktionismus erscheinen. Die einzige angemessene und stilsichere Reaktion kann hier sein, unseren eigenen Fatalismus vollauf anzunehmen und in der amüsierten Anerkennung unserer eigenen Machtlosigkeit den Trost eines überlegenen Wissens zu finden.

House of Cards verschafft uns das Vergnügen der Komplizenschaft: Die Serie lädt uns ein, einen privilegierten Blick hinter die Kulissen der Macht zu werfen und dort in karikierend übersteigerter Form zu finden, was wir insgeheim immer schon vermutet haben. Indem wir uns des moralischen Urteils enthalten und uns damit der kalten Persona Frank Underwoods annähern, erheben wir uns zumindest augenblicksweise über die Masse der Naiven und Gestrigen. Mit anderen Worten: Als Fans von House of Cards feiern wir unsere eigene politische Abgeklärtheit.

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als ästhetisch goutierendes Publikum, das seinen Auftritt vor allem unter stilistischen Kriterien bewerten wird.

Trittin weiß, was auch House of Cards weiß: dass wir dem integren Idealisten zwar moralische Anerkennung entgegenbringen, dass unsere Bewunderung aber insgeheim dem listenreichen Virtuosen der Macht gilt.

Denn Frank Underwood ist ein Modell, ein avantgardistisches Vorbild, ein ironisch überzeichneter, letztlich aber schlüssiger Entwurf des neuen Menschen: Hochintelligent, stets perfekt vorbereitet, weder von moralischen Zweifeln noch von persönlichen Schwächen behindert. Frank schläft wenig, arbeitet hart und tritt doch stets elegant, frisch und alert auf. Seine knappen Freizeitstunden nutzt er, um sich im Fitnesskeller und auf dem Joggingpfad auch körperlich zu stählen für den Krieg: jenen Krieg, der früher einmal Arbeit hieß. Frank ist ein soziopathischer Verbrecher, doch sein einziges „Laster“ im konventionellen Sinn besteht in der gelegentlichen Zigarette am offenen Fenster, die er mit seiner Frau teilt. So ist Frank in vielerlei Hinsicht ein Übermensch, der perfekte Homo sapiens 2.0, bis ins letzte angepasst an die Anforderungen der schönen neuen Welt neoliberaler Selbstausbeutung und Nutzenmaximierung. Wer House of Cards konsumiert, übt sich immer auch schon auf spielerische Weise für den eigenen Kampf auf dem modernen Human-Resources-Markt. Von Frank Underwood lernen heißt siegen lernen – vielleicht besteht darin auch einer der Gründe für den durchschlagenden Erfolg der Serie bei der neuen, gebildeten chinesischen Mittelschicht.

Auch House of Cards hat seine eigene Vision des Politischen: Während es bei 24 und Battlestar Galactica als die einsame Entscheidung exponierter Männer in unmöglichen Situationen entworfen wird und in The West Wing als humanistisches Kammerspiel des immerwährenden, vielstimmigen Dialogs zwischen wohlmeinenden Experten, ist das Politische für House of Cards ein existentieller Kampfsport, eine Arena darwinistischer Selbstbehauptung, in der Intelligenz, Härte und Skrupellosigkeit die Hauptfaktoren der Auslese sind.

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Anschein ist Frank kein Karrierist, er strebt das Präsidentenamt nicht aus Prestigegründen oder persönlicher Eitelkeit an, sondern weil sein ungebremster Wille zur Macht sich Bahn brechen muss, sein Wille, die Welt zu gestalten. Und so weiß er auch sicher zwischen Geld (verstanden als Kaufkraft in der Konsumgesellschaft) und wahrer Macht zu unterscheiden und verachtet all jene, deren Ambitionen sich nicht zielsicher auf letztere hin orientieren:

Videoclip.

Die Serialität des Politischen und die Politik des Seriellen

Lassen Sie mich abschließend noch ein paar allgemeine Überlegungen zum Serial Drama als Medium fiktionalisierter Politik anstellen.

Ich habe schon kurz von der Serialität des Politischen gesprochen: von jenen Zyklen, Wiederholungen, narrativen Spannungsbögen, die nicht nur Fernsehserien, sondern eben auch die Politik selbst strukturieren (und zum Teil allererst erzählbar machen).

Wie aber steht es um die Politik der Serialität? Denn auch die Tatsache, dass über Politik im seriellen Format gesprochen wird, hat natürlich Auswirkungen auf den Gehalt der jeweiligen Politdramen.

Serialität bietet ungleich mehr Raum für Ambiguität und Offenheit als ein punktuelles Format wie es etwa der das Hollywood-Politdrama darstellt. Serien sind mäandernde und proteische Wesen, die es lieben, die Gestalt zu wechseln, mit sich selbst in Dialog zu treten und sich auch selbst zu wiedersprechen. Serien können ungemein schnell auf die Außenwelt reagieren, können sowohl reale Ereignisse und Tendenzen als auch die Medien- und Zuschauerreaktionen auf die Serien selbst in sich aufnehmen und thematisieren. Ein Beispiel: Jack Bauers Prozess wegen Kriegsverbrechen in einer der späteren Staffeln von 24 stellt eine unmittelbare Reaktion der Serie auf öffentliche Kritik an der dort gebotenen Gewaltdarstellung und Gewaltlegitimierung dar. Auch dies ist jedoch wiederum ambivalent: Es handelt sich hier um die Aufnahme kritischer Reaktionen, denen zwar Raum geboten wird, und die zugleich doch sofort auch wieder entkräftet zu werden scheinen: Denn Jack Bauer, so will es 24, wird eben mitsamt seiner verbrecherischen Gewalt gebraucht.

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Aussagelinie zu sprechen. Politserien ergreifen in der Regel nicht Position (oder sie ergreifen zumindest sofort darauf auch wieder die Gegenposition zum eben erst Formulierten). Vielmehr nehmen sie Themen, Ängste, Spekulationen des Zeitgeists auf und spielen sie fiktional durch, wobei die um sie entstehenden Debatten Teil des Serienuniversums selbst werden. Serien sind damit in erster Linie politische Foren, Plattformen, auf denen Zeitthemen sichtbar und greifbar gemacht, aber nie in eine letztgültige Form gegossen werden. Ideologie wird in ihnen weniger in Form lokalisierbarer Statements sichtbar als vielmehr in ihrer Erzählweise, in ihren wiederkehrenden Szenarien, im Verhältnis, das sie zu ihren Figuren und zu ihren Zuschauern pflegen. Mehr als eine politische Position entwickeln sie also das, was ich versucht habe, hier am Beispiel von vier Serien aufzuzeigen: allgemeine Visionen davon, was Macht, was politisches Handeln im 21. Jh. ausmachen kann.

Und noch ein zweiter Punkt verdient Aufmerksamkeit: Wir sprechen von TV-Serien, also seriellen Formaten, die im Medium des Fernsehens ihr Leben führen. Was aber bedeutet Fernsehen heute?

Die vier Serien, über die ich gesprochen habe, geben auch ein Bild von der rasanten Entwicklung des Mediums Fernsehen in den letzten zwanzig Jahren. Das erste dieser Dramen, The West Wing, in den mittleren bis späten 90er Jahren konzipiert, entspricht noch ganz dem traditionellen Bild des Fernsehens als zentralem Massenmedium, als medialem Lagerfeuer der modernen Gesellschaft. Ähnlich wie das Medium selbst sich, als zentrale und doch volksnahe Instanz, quasi ex cathedra zu seinem Publikum sprechen konnte, so spricht auch Jed Bartlet als behäbig wohlwollender TV-Präsident zum Volk. Das Massenpublikum des Fernsehens (der produzierende Sender NBS ist kein Kabelkanal, sondern frei zu empfangen) wird in der Logik der Serie mit der amerikanischen Nation selbst gleichgesetzt, die durch diese fiktionalisierte Variante der Tagespolitik zugleich gebildet, erbaut und unterhalten wird.

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Medienlandschaft des frühen 21. Jh. Verlässliche Information ist so lebenswichtig wie rar, und das einzige Mittel gegen das unablässige weiße Rauschen, aus dem sich nur selten ein klares Bild der Lage ergibt, ist fortwährende und flächendeckende Überwachung.

Mit House of Cards schließlich kommen wir in der medialen Gegenwart an. Die traditionelle Glotze als Massenmedium ist nur noch eine Erscheinungsform des Fernsehens unter vielen: Sie steht in Konkurrenz und unablässigem Austausch mit Onlineplattformen, Downloadhubs und Streamingdiensten wie dem Produzenten Netflix. An die Stelle des Broadcasting tritt nun Narrowcasting: das gezielte Bedienen von Sparteninteressen. An die Stelle des willigen Massenpublikums, das vor der Flimmerkiste Präsident Bartlet lauscht wie dem Wort zum Sonntag, tritt nun ein zersplitterter Konsumentenpool von technik- und medienkompetenten, hoch mobilen und schnell gelangweilten Mediennomaden. An sie richten sich die verschwörerischen Asides von Frank Underwood: der moderne Konsument und sein Präsident auf Du und Du, eine konspirative Zelle inmitten einer fragmentierten Mediengesellschaft.

Auch in dieser Hinsicht entwerfen zeitgenössische Politserien also eindrückliche und wirkmächtige Visionen: Sie bilden jene moderne, mediatisierte Form der Öffentlichkeit ab, die zwischen Agora und Markt kaum mehr eine Unterscheidung treffen kann, und an deren Entwicklung und Ausgestaltung sie zugleich aktiv mitwirken.

Martin Lampprecht Université d’Aix-Marseille Secteur cinéma et audiovisuel

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