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120 Bosco, Henri

zu einer Insel in der Mitte des Flusses treiben und entdeckt dort ein Zigeunerlager. Er beobachtet, wie ein Junge seines Alters ausgepeitscht und an einen Baum gefesselt wird. Er befreit ihn nachts. Mit dem Boot flüchten sie in einen Nebenarm des Flusses.

Gatzo und Pascalet leben eine Woche am Fluß, an-geln Fische und beobachten die Tiere (Eule, Dachs).

Nachts schleichen sie sich mutig an eine Kapelle heran, die angeblich von Geistern heimgesucht wird. Dort treffen sie das Waisenmädchen Hyazin-the mit ihrem Esel Culotte und erfahren, daß sie von der Polizei gesucht werden. Als Gatzo wenige Zeit später verschwunden ist, macht sich Pascalet auf die Suche. Er kommt in ein scheinbar verlasse-nes Dorf, wo sich die Bewohner vor einer Puppen-bühne versammelt haben. Der Puppenspieler Savi-nien spielt ein Stück über einen Jungen, der von Zigeunern geraubt worden ist. Der im Baum ver-steckte Gatzo erkennt seine eigene Lebensge-schichte wieder und gibt sich als der Enkel Savi-niens zu erkennen. Während alle ein Fest feiern, kehrt Pascalet unbemerkt zum Boot zurück. Barba-got findet ihn und bringt ihn nach Hause. Doch Pascalet kann Gatzo nicht vergessen und verzehrt sich vor Sehnsucht nach ihm. Nachdem ein Jahr vergangen ist, taucht unvermittelt Gatzo auf, des-sen Großvater mittlerweile gestorben ist. Er wird von Pascalets Eltern adoptiert.

Bedeutung: B. hat mit seinen provenzalischen Romanen (weshalb man B. voreilig als Autor von Heimatliteratur etikettierte) ein Cluster verfaßt, das sich herkömmlichen Vorstellungen über Fortset-zungen und Serien widersetzt. Bereits in L’âne cu-lotte unde Hyazinthe treten Figuren auf, die ine L’en-fant et la rivière den Status von Nebenfigurene erlangen. Dem Leser des Kinderbuchs erschließen sich die weiteren Implikaturen und Anspielungen des Textes erst dann, wenn er diese beiden Bände, wozu aber noch die später verfaßten Bücher Barba-got,tt Baboche, Tante Martine unde Le renard dans l’île gehören, rezipiert. Die Andeutungen ime Schlußkapitel, daß der Erzähler die Lebensge-schichte Gatzos und Hyazinthes in einem anderen Zusammenhang berichten werde, erfüllt sich in die-ser »mythologischen Suite« (David 1990/91) bzw.

»Pascalet-Zyklus« (Neiss 1977). In Le renard dans l’île wird auch eine Erklärung für die Entführunge Gatzos durch die Zigeuner gegeben: sie rächten sich damit an dem Raub der Zigeunerin Caraques durch den jungen Savinien. Schauplatz von B.s Werk ist die Provence in der Nähe von Luberon, wie sie in den Kindheitserinnerungen des Autors leben-dig blieb. Der autobiographische Bezug wurde vom Autor selbst in einem Essay hervorgehoben; er

be-zeichnet sein Werk als »persönliches Abenteuer, wo das zutage tretende Schicksal genau mein eigenes Schicksal ist« (Bosco 1984). Auch der typische Mo-dus des Sich-Erinnerns an eine vergangene Zeit taucht an zentraler Stelle auf, als sich der Ich-Er-zähler als inzwischen gealterter Mann zu erkennen gibt.

B. beschwört die Atmosphäre in einem südfran-zösischen Bauernhof (»métairie«) und die provenza-lische Landschaft im Ablauf der Jahreszeiten. Ob-wohl keine genauen Ortsangaben gemacht werden, deuten die Landschaftstopographie, die mehrfach erwähnte Lavendelernte und der provenzalische Argot auf die Ansiedlung des Geschehens in der Rhône-Gegend hin (der geheimnisvolle Fluß ohne Namen entschlüsselt sich dem Kenner der geogra-phischen Verhältnisse als Rhône).

Die Musikalität der Sprache und die Betonung akustischer Wahrnehmungen verweisen auf die herausragende Rolle, die B. der Musik zugeschrie-ben hat (»Das Wort erklärt, die Musik suggeriert;

deshalb muß das Wort von Musik durchtränkt sein, damit es seinen wahren Sinn offenbart«). B. schafft damit eine poetisch-sensualistische Sprache, die das Magisch-Phantastische als Bestandteil der all-täglichen Welt erfahren läßt. Dieser »magische Rea-lismus« führt zum Höhepunkt des Buches, der nächtlichen Theatervorführung im Dorf, hin. Die Ankunft Pascalets im scheinbar verlassenen Dorf mit den leeren Häusern und die Vorstellung werden wie ein Märchen erzählt. Das Theaterstück spiegelt wiederum in einer Parabel die Lebensgeschichte Gatzos und kann somit im Sinne der romantischen Ironie als »Stück im Stück« gedeutet werden. Der dem Kapitel vorangestellte paradoxe Titel »Le mon-treur d’âmes« (Der Seelenzeiger) greift dieses Phä-nomen der Verschachtelung nochmals auf und ver-deutlicht den Einfluß des literarischen Symbolis-mus. Die Verbindung von Rationalität (»montrer« = zeigen) und Vision (»âme« = Seele) bestimmt die ge-samte Situation (Beckett 1988). Das in einer von Pascalet als verzaubert wahrgenommenen Welt an-gesiedelte Marionettentheater entpuppt sich entge-gen seines anfänglichen Märchencharakters als

»exemplum«, das aufklärerische Absichten (Suche nach dem verschwundenen Enkel Saviniens) ver-folgt. Indem es dieses Ziel erreicht, sorgt es zugleich für eine Entzauberung der Weltsicht Pascalets, der dadurch nicht nur seinen geheimen Freund verliert, sondern auch in seinen kindlichen Vorstellungen über das Verhältnis von Wirklichkeit und Spiel er-schüttert wird. B., der häufig mit den deutschen Ro-mantikern verglichen und in Frankreich in die Nähe von Gérard de Nerval und Jean Giono (der ebenfalls

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Romane über die Provence verfaßt hat) gerückt wird, läßt in seinen Romanen wie auch in seinem Kinderbuch L’enfant et la rivière die Wirklichkeite und eine geheimnisvolle Traumwelt fast unmerk-lich ineinander übergehen (Barbier 1966).

Drei Seiten der Natur erschließt B. in seinem Buch und verleiht jeder von ihnen einen geheim-nisvollen Zauber: die friedliche, humanisierte Natur (Haus, Garten, Dorf); die animalisch wilde Natur (Flußinsel, Geisterkapelle) und die Natur, in der diese Wildheit besänftigt und beseelt ist und als ir-disches Paradies erscheint (Fluß und sein Neben-arm). B. läßt mit Pascalet ein Kind durch diese drei Regionen wandern, dessen Sinne noch das Wun-derbare wahrnehmen können, dem aber viele Dinge unverständlich bleiben, und gibt dadurch dem Werk seinen besonderen Reiz (Rambeck 1973).

Das Buch bezeichnet eine Stufe innerhalb der le-benslangen dichterischen Suche B.s. Er versuchte anhand eines eigenen Seinsmodells den Sinn des Lebens und die Regungen der Seele zu erfassen.

Während es B. in seinen früheren Romanen um die Darstellung des Animalischen im Menschen und die selbstzerstörerische Imagination ging, stellt er in L’enfant et la rivière die Bewältigung des Chao-e tischen in der Natur in den Vordergrund. Ein Hauptmotiv ist nach B. die Suche nach der Lebens-erfüllung (»le thème du salut«). B.s intensive Be-schäftigung mit antiker, christlicher und orientali-scher Mystik schlägt sich im Roman in einem Symbolnetz (»une forê de symboles«) nieder, dessen Entschlüsselung erst den tieferen Sinn der Erzäh-lung freigibt. So spielt B. mit bedeutsamen Namen (»Pascalet« ist eine Anspielung auf Ostern und die Auferstehung, »Savinien« hebt die Weisheit des al-ten Marionetal-tenspielers hervor), er verwendet leicht erkennbare Embleme wie Herz, Kreuz oder Vogel. Der Gegensatz zwischen dem blonden Pas-calet (als »Robinson«) und dem dunklen Gatzo (als

»Freitag«), der von Pascalet aus den Händen von

»Wilden« befreit wird, und ihr tagelanges Versteck im Flußnebenarm weitab von der menschlichen Zi-vilisation greift Elemente der kinderliterarischen Robinsonade auf.

Die Handlung umfaßt genau den Zeitraum eines Jahres, so daß die Veränderung der Landschaft mit dem Entwicklungsprozeß Pascalets korreliert. Pas-calet befindet sich in einer Identitätskrise. Durch den Rückzug in die Einsamkeit und seine Träume wird er auf die kommenden Ereignisse vorbereitet.

Seine Entwicklung wird zum einen durch die Be-gegnung mit der unbekannten Natur am Fluß, zum anderen durch die Freundschaft mit Gatzo geför-dert. Das Motiv des Spiegels verbindet beide

Aspekte (David 1990/91). Das Wasser wirft ein Spiegelbild und stellt einen Initiationsort dar, der durch die Kombination von Faszination und Gefahr bestimmt ist. Den gefährlichen Strudeln des Flusses (»eaux violentes«) werden die schlafenden Wasser im Nebenarm (»eaux dormantes«) und die geheim-nisvollen Wasser an der Kapelle (»eaux secrètes«) gegenübergestellt. An jedem Ort finden wichtige Begegnungen (Zigeuner, Gatzo, Hyazinthe) statt, die für eine bestimmte Seite der Natur und der psy-chischen Konstitution des Menschen stehen. Mit der Wildheit und der Spontaneität der Zigeuner kontrastiert die stille Freundschaft zwischen Gatzo und Pascalet bzw. Barbagot und Pascalet sowie die beunruhigende Begegnung mit dem elfengleichen Mädchen Hyazinthe. Ebenso spiegeln sich Pascalet und Gatzo, der als das Gegenbild Pascalets auftritt, ineinander. Diese Symmetrie wird durch das Auf-treten Hyazinthes unterbrochen, die Eigenschaften beider Jungen in sich verbindet (Waise, Einsamkeit, Wildheit).

Rezeption: Der Erfolg und die Bedeutung des Ro-mans sind nicht zuletzt der historischen Situation um 1945 zu verdanken. Die Botschaft der Hauptfi-gur Pascalet drückte die einzige Hoffnung aus, die Frankreich noch geblieben war: das Vertrauen in die Kräfte der heimatlichen Natur und die Verbun-denheit mit den Vorfahren, deren Erbe es zu erhal-ten galt. B. hat den magischen Realismus in die französische Kinderliteratur eingeführt und bis heute keine ebenbürtigen Nachfolger gefunden.

Ausgaben: Paris 1945. – Paris 1953. – Paris 1966. – Pa-ris 1972. – PaPa-ris 1977. – PaPa-ris 1979. – PaPa-ris 1987.

Übersetzungen: Die schlafenden Wasser. G. Vulpius.

Baden-Baden 1958. – Dass. R. Nickel/W. Stammler. Stutt-gart 1979. – Dass. dies. Frankfurt/Berlin/Wien 1985. – Dass. dies. Stuttgart 1998.

Literatur zum Autor: L’art d’H. B. Paris 1981. – M. Bar-bier: Symbolisme de la maison dans l’œuvre d’H. B. Aix-en-Provence 1966. – S. Beckett: La quête spirituelle chez H. B. Paris 1988. – S. Beckett: La voix/la voie du narrateur bosquien (Cahiers H. B. 28. 1988. 239–249). – S. Beckett:

Le desert maghrebin, terre d’election dans l’œuvre d’H. B.

(in: G. Adamson/J.M. Gouanvic (Hgg.): Francophonie plu-rielle. Quebec 1995. 39–49). – J. P. Cauvin: H. B. et la poé-tique du sacré. Paris 1974. – Y. A. Favre: H. B. et la nuit (Cahiers H. B. 28. 1988. 215–225). – C. Girault: H. B., sa vie et son œuvre. Nizza 1983. – C. Girault: L’image de la femme noire chez H. B. (Cahiers H. B. 24. 1984. 137–153).

– C. Girault: H. B. Entretiens avec Monique Chabanne (Ca-hiers H. B. 27. 1987. 63–134). – C. Girault (Hg.): H. B. My-stère et spiritualité. Paris 1987. – C. Girault: La terre et le sacré (Cahiers H. B. 29. 1989. 145–176). – C. J. Godin:

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pay-122 Boston, Lucy Maria

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– J. Michel: Liturgie de la lumière nocturne dans les récits d’H. B. Paris 1982. – J. Onimus (Hg.): Le réel et l’imaginaire dans l’œuvre d’H. B. Paris 1976. – J. Onimus: Un guetteur d’ombres: le romancier et poète H. B. (Cahiers H. B. 19/20.

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Mystère et spiritualité. Nizza 1987. 95–108). – L. Poitras:

H. B. et la participation au monde. Fribourg 1971. – G. Raillard: La Provence de B. Paris 1981. – B. Rambeck:

H. B. Dichter, Erzähler, Philosoph und Christ. München 1973. – G. Riegert: L’itinéraire des textes: Critique et poé-tique de H. B. dans la revue »Aguedal« (1936–43) (Cahiers H. B. 28. 1988. 166–200). – J. Susini: B. explorateur de l’invisible, suivi d’extraits de son œuvre. Alès 1959. – G. Valin: Dieu et le poète: Deux intinéraires spirituels: No-valis et H. B. (Cahiers H. B. 23. 1983. 92–103).

Literatur zum Werk: H. Bosco: Brève méditation sur le miroir (Cahiers d’amitié H. B. 24. 1984. 19–26). – A. David:

Le meme et l’autre: Jeux de miroirs dans »L’enfant et la ri-vière« d’H. B. (Cahiers H. B. 30/31. 1990/91. 223–245). – B. Neiss: Notes pour une étude de l’enfance dans l’œuvre d’H. B. (Cahiers H. B. 13. 1977. 32–97). – B. Neiss: L’En-fance (Cahiers H. B. 29. 1989. 85–98). – Samivel: »L’Âne Culotte« et l’univers onirique d’H. B. (Cahiers H. B. 11.

1976. 76–80). – M. Valdinoci: La bête tragique: le renard (Cahiers H. B. 21. 1981. 34–46).